Soziale Leitkriterien

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Soziale Handlungsfelder in der modernen und zukunftsfähigen Gesellschaft dienen der eigenständig nicht möglichen Befriedigung von grundrechtlich oder menschenrechtlich zustehenden Bedürfnissen zur Teilhabe an der Gesellschaft von einzelnen Personen und Bevölkerungsgruppen, sowie Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes über wirtschaftliche oder diversitätsbedingte Disparitäten und deren internationalen Bezüge hinweg.

Die zivilgesellschaftliche Beteiligung ist eine der Maßgaben der Kommission "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" (KWSB), die den Strukturwandel des Rheinischen Reviers begleiten soll. Die Kommission betont, dass alle im Strukturwandel geförderten Projekte das Zieldreieck Ökonomie – Ökologie - Soziales berücksichtigen sollen.

Die Dimension des Sozialen innerhalb des Strukturwandels ist nach unserer Einschätzung unterrepräsentiert und zwar in der Form, dass sie zwar mitgedacht wird, aber einer inhaltlichen Konkretion entbehrt.

Diese möchten wir hiermit anstoßen.

Nachhaltigkeit wird im Bereich dreier Dimensionen beschrieben, die mit einander in Verbindung stehen (vgl. Böhnisch 2020: 19). Der nachhaltige und rücksichtsvolle Umgang mit natürlichen Ressourcen ist die Grundlage der ersten, der ökologischen Dimension, mit dem Ziel zu verhindern, dass bestimmte Ressourcen irreversibel zerstört oder unbrauchbar gemacht werden.

Die Naturräume und Ressourcen zu nutzen und in die neu entwickelten Strukturen einzubeziehen, bietet als zweite Dimension die Chance, den Strukturwandel nachhaltig zu gestalten. Dabei ist zu prüfen, „ob unbegrenztes quantitatives Wirtschaftswachstum mit ressourcenerhaltender nachhaltiger Entwicklung verträglich ist oder ob stattdessen eine Begrenzung des ökonomischen Wachstums oder die Umsteuerung auf ‚qualitatives Wachstum‘ anzustreben ist“ (vgl. ebd.).

Als Drittes umfasst die soziale Dimension die intergenerationale Gerechtigkeit, also die Berücksichtigung des Lebensinteresses künftiger Generationen. Sie beinhaltet das Prinzip der Verantwortung, die menschliche Existenz im Einklang mit der Natur zu wahren (vgl. Jonas 1979). Ein Beispiel sind die Zweifel, dass die Erderwärmung mit den sich gerade entwickelnden Ökotechnologien in der geringen Zeitachse, die wir noch haben, aufgehalten werden kann (vgl. Böhnisch 2020: 21ff.). Um dieser sozialen intergenerationalen Verantwortung gerecht zu werden, sind ausnahmslos alle Bevölkerungsgruppen und ihre Interessen in den Strukturwandel einzubringen.

Eine Ungleichverteilung von Umweltressourcen und -belastungen ist als strukturelle Benachteiligung zu werten. Von Umweltungerechtigkeit sind besonders Menschen betroffen, die ökonomisch, sozial oder beruflich prekarisiert sind (Maschewsky 2004: 7ff). Dazu gehören aber auch Menschen, die den Verlust des Arbeitsplatzes oder der Heimat hinnehmen müssen. Das Konzept der Umweltgerechtigkeit ist als normatives Leitbild zur Erfassung gerechter Verteilung von Umweltressourcen und -belastungen heranzuziehen.

Es lassen sich positive Auswirkungen der natürlichen Umwelt auf der physiologischen wie psychologischen Ebene des Menschen feststellen. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen gilt der Zugang zur Natur als protektiver Faktor für u. a. Aufmerksamkeitsstörungen (Spitzer 2019: 21-31).

Negative Umwelteinflüsse (z. B. Lärm- oder Schadstoffbelastung) haben Auswirkungen auf die Gesundheit und beeinflussen Lebensqualität, Infrastruktur und Sozialleben (Frohn/ Birkenstein et. al. 2020: 25f).

Der Strukturwandel ist für Menschen häufig verbunden mit existentiellen Ängsten, Sorgen vor sozialem Abstieg und der Herausforderung einer Neuorientierung und Entheimatung. Ziel muss es sein, die Selbstbestimmung des Einzelnen und die solidarische Unterstützung durch die Gemeinschaft zu befördern und vor allem die Bedürfnisse Marginalisierter und von Marginalisierung Bedrohter im Blick zu haben.

Lefebvre formulierte 1968 als eines der übergeordneten Rechte (wie z. B. auf Freiheit und auf Wohnen) das Recht auf Differenz. Wir würden hier „Recht auf Stadt“ sagen. Es geht dabei um die Anerkennung unterschiedlicher Lebensvorstellungen und Bedürfnisse (vgl. Holm/Gebhardt 2011). Unter der Anerkenntnis von individueller Differenz und auch Not muss die Schaffung eines emanzipatorischen Zugangs zum Gemeinwesen für ausnahmslos alle Bürger_innen des Rheinischen Reviers das Ziel sein.

In direktem Zusammenhang steht die Notwendigkeit, Anreize für Bürger_innen zu schaffen, um die Region nicht nur als Arbeits-, sondern als Lebensraum zu begreifen und somit der Abwanderung der Menschen aus der Region entgegen zu wirken. Nur so ist eine nachhaltige Stadt- und Gemeinwesensentwicklung möglich.

Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung der mit dem Strukturwandel einhergehenden Transformationsprozesse ist die aktive Stärkung der Bürger_innen in ihrem Stadtteil hin zu einem handelnden Gemeinwesen im jeweiligen Sozialraum. Die Vernetzung der Institutionen und der Aufbau von Unterstützungsnetzwerken sowie die Lebensweltorientierung sind als zentrale Elemente der Gemeinwesenarbeit zu betrachten (vgl. Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge 2002: 382). Sozialer Austausch, Vernetzung, Partizipation und gegenseitige Unterstützung finden häufig in Vereinen ihren Raum. Die sogenannte Verantwortungsgesellschaft (vgl. Böhnisch 2020: 51), die sich aktivieren lässt, ist eher im Mittelschichtssektor angesiedelt und kann damit paradoxerweise bei sozial benachteiligten Bürger_innen exkludierend wirken (vgl. ebd.: 52). Deshalb braucht es andere Beteiligungs- und Engagementsformen, die sich nicht am kulturellen und sozioökonomischen Status der Mittelschicht orientieren.

Gesellschaftliche Teilhabe, Teilnahme und Teilgabe durch Inklusion und Barrierefreiheit sind als Leitgedanken ebenso grundlegend wie Gleichberechtigung und Gleichstellung. Mitzudenken sind sowohl die Inklusion von Bürger_innen in die durch Umsiedlungen und Transformationsprozesse nötig gewordene Neubildung der Gemeinwesen wie auch die Inklusion von Menschen mit Fluchtbiographie. In einer sozialen Gesellschaft ist jegliche Form von Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu verhindern und der Zugang zu wirtschaftlichen und natürlichen Ressourcen gleichberechtigt zu gewährleisten sowie eine gleichberechtigte Rolle bei Entscheidungen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu sichern.

(vgl. SDG 10 & 5)

Fest verankerte Strukturen der Bürger_innenbeteiligung sind zu etablieren. Sie besitzen das Potential, Ressourcen und Kompetenzen für die Veränderung in der Gesellschaft zu mobilisieren. So können Entscheidungen und Pläne von Grund auf gemeinsam entwickelt und so besser auf die tatsächlichen Bedürfnisse der betroffenen Akteur_innen abgestimmt werden (vgl. Hrivnák et. al., 2021). Sie haben die Möglichkeit, aktiv ihren Lebensraum und die Gesellschaft mitzugestalten. Die Ideen und das Engagement der Bürger_innen sowie der regionalen Unternehmen müssen aktiv in die Prozesse des Strukturwandels einbezogen werden.

Dadurch können nicht nur die Ressourcen der Akteur_ innen für den Wandel mobilisiert, sondern auch Entscheidungen und Umsetzungen durch das ‚Wissen der Vielen‘ zudem optimiert werden. Dies kann eine höhere Identifizierung mit und Aneignung von den Strukturwandelzielen durch die Bürger_innen hervorrufen, zumal die repräsentativen demokratischen Strukturen dafür nicht mehr ausreichen.

Der Abbau einer Reproduktion von sozialer Ungleichheit ist elementar für die Gestaltung eines sozialen Transformationsprozesses und muss vor allem Kinder und Jugendliche adressieren.

Der zentrale Aspekt der Bildungsgerechtigkeit umfasst einerseits die Schaffung von Konzepten der Chancengerechtigkeit im formalen Bildungssystem sowie die Entwicklung von ,Reproduktionsräumen‘ der außerschulischen Lern- und Freizeitorte für Kinder und Jugendliche. Diese ermöglichen einen gleichberechtigten Bildungsverlauf und fördern die Kompetenzvielfalt. Grundlegende Postulate sind die Schaffung von (Freizeit-)Angeboten innerhalb des Sozialraums (Vereine, Spiel- und Bolzplätze, etc.) sowie der flächendeckende Aufbau von Hilfesystemen für den Kinder- und Jugendschutz im Sinne eines regional umgesetzten Jugendschutzkonzeptes (Frühe Hilfen, Schutz vor Gewalt, Schutz von Kindern mit Fluchtbiographie, die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, Kinder- und Jugendhilfe, Medienpädagogik und Digitalisierung als grenzüberschreitende Orte der Begegnung und Verständigung). Zusätzlich geht es um die Beteiligungs- und Gestaltungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche im Strukturwandel. Partizipation und die Integration in gesellschaftliche Prozesse bedingt Identifikation mit dem Sozialraum. Der sekundäre Effekt ist eine Bindung junger Menschen an die Region, die eine Identität mit dieser herausbilden konnten, was wiederum die Basis für eine nachhaltig heterogene Gesellschaft mit Traditionen und Wurzeln ist.

Der barrierefreie Zugang zu Bildung im urbanen wie ländlichen Raum ist durch den Aufbau eines flächendeckenden Netzes an Bildungseinrichtungen der Schlüssel zu kulturellen, sozialen und materiellen Ressourcen und beeinflusst maßgeblich Teilhabechancen, Inklusion und Lebensqualität. Der Zugang zu (lebenslangem) Lernen auf allen Ebenen, also formaler (z. B. Schule, Hochschule), non-formaler (außerschulisch, z. B. in Jugendeinrichtungen) und informaler (z. B. Familie, Peergroup) Bildung (vgl. Schilling/Krus, 2018), ist unabhängig von Alter, Geschlecht, Kultur und externen Faktoren, zu gewährleisten. Zudem ist darauf zu achten, dass eine Heterogenität in den berücksichtigten Bildungsfeldern stattfindet. Die vordergründig zu beachtenden Felder der Natur, Technik, des MINT-Bereiches ist durch z. B. die ästhetische Bildung zu ergänzen. Somit sind Bildungsfelder zu berücksichtigen, die in ihrem Ansatz nicht die Erkenntnisvermittlung im Fokus haben, sondern als Reflexionsrahmen Erkenntnisform darstellen und Kultur hervorbringen und sie nicht nur reproduzieren.

(vgl. SDG 4)

Aufgabe von BNE ist es, für Nachhaltigkeit zu sensibilisieren und eine globale Perspektive einzunehmen. Darüber hinaus soll die BNE Kompetenzen und Verhaltensweisen ausbilden, die die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt verstehen lässt und Ambivalenzen ermöglicht zu bearbeiten. Somit erhalten Bürger_innen Zugang zur partizipativen und nachhaltigen Mitgestaltung des Strukturwandels.

Durch ein breites, dezentralisiertes Netz an Hilfsstrukturen und gut ausgebauten Gesundheitsstrukturen ist Bürger_innen ein leichter, möglichst barrierefreier Zugang zu Unterstützungsangeboten (z. B. quartiersbezogenen Interventionsteams) und Institutionen der ambulanten und stationären gesundheitlichen Versorgung (Praxen von Ärzt_innen, Psychotherapeut_innen, Therapeut_innen sowie Krankenhäuser, Geburtshäuser, etc.) in unmittelbarer Wohnortnähe zu ermöglichen.

Mobilität und Kommunikation sind grundlegend für die Mitgestaltung des Sozialen. Die Förderung einer umwelt- und gesundheitsschonenden Mobilität, die auch Verbindungen zwischen städtischen, stadtnahen und ländlichen Gebieten beinhaltet, erhöht ausnahmslos die Teilhabe aller Bürger_innen und schafft ein weiteres Argument gegen die Abwanderung aus den Kommunen. So sind insbesondere eine gute Anbindung an den ÖPNV sowie ein umfassendes Radwegenetz von großer Bedeutung. Nachhaltige Verkehrsmittel leisten einen wesentlichen Beitrag zur klimafreundlichen Mobilität innerhalb der eigenen Kommune sowie überregional, z. B. für Pendler_innen aus benachbarten Städten. Der niederschwellige und kostengeringe Zugang zu solchen Verkehrsmitteln ist für uns im Strukturwandel mitzudenken.

Die Mitwirkung der Bevölkerung in der Gestaltung von Transformationsprozessen ist entscheidend auf eine hohe Qualität und Verfügbarkeit von Kommunikationsmedien für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen und ihren Bedürfnissen angewiesen. Das betrifft die jeweilige Lebens- und Arbeitswelt, aber auch die Förderung des Austauschs zwischen den Teilräumen des Reviers und darüber hinaus.

(vgl. SDG 11)

 

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