Erfolgreicher Auftakt der Themenreihe „Exklusion und Inklusion – früher und heute“
Götz Aly in der KatHO Münster
04. Dezember 2019

Dr. habil Götz Aly, einer der renommiertesten Historiker, setzte in seinem Vortrag am 4.12.2019 an der KatHO NRW Münster die Mosaiksteine zusammen, die erklären, wie es zu der Ermordung von 200.000 behinderten und kranken Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus kommen konnte. Über 100 Zuhörerinnen und Zuhörer aus Hochschule und Gesellschaft verfolgten gebannt seinem Vortrag.

Knapp 100 Besucherinnen und Besucher aus Hochschule und Gesellschaft

Wie konnte es dazu kommen, dass in der Zeit des Nationalsozialismus 200.000 behinderte und kranke Menschen ohne großen Widerstand der deutschen Bevölkerung ermordet wurden? Jeder achte Deutsche hat mindestens einen damals getöteten Angehörigen in seiner Verwandtschaft. Warum wird in den meisten Familien bis zum heutigen Tag über diese Angehörigen geschwiegen? Götz Aly setzte in seinem Vortrag die Mosaiksteine zusammen, die erklären, wie es zu diesen Verbrechen kommen konnte. Über 100 Zuhörerinnen und Zuhörer verfolgten gebannt seinem Vortrag, der sich auf sein sehr empfehlenswertes Buch „Die Belasteten – Euthanasie 1939-1945 – Eine Gesellschaftsgeschichte“ stützte.

Kein Grund für moralische Überheblichkeit

Die Menschen damals waren nicht moralisch besser oder schlechter als wir, warnte Aly vor moralischer Überheblichkeit. Die Machthaber griffen gesellschaftlich populäre und wissenschaftlich weit verbreitete Denkweisen über erbkranke Menschen auf. Mit den Bedingungen des Krieges kamen noch ökonomische Argumente (Kosten und Unterkünfte für zu Betreuende) hinzu. Gezielt sei das Belastungserleben der Angehörigen, verstärkt durch das Streichen finanzieller Unterstützungsleistungen durch den Staat, sowie die empfundene Scham über das behinderte Familienmitglied missbraucht worden. Die meisten Leitungen von Einrichtungen wären primär an verwaltungstreuem Handeln interessiert. Aly machte darauf aufmerksam, dass einige dieser Mosaiksteine uns heute noch zur Genüge bekannt seien.

Rolle der Angehörigen und der katholischen Kirche

Gegen die als „Euthanasie“ getarnten Morde sei Widerstand möglich und wirkungsvoll gewesen. Bewohnerinnen und Bewohner von Einrichtungen, die Besuche von ihrer Familie bekamen, wurden in der Regel von den Todeslisten gestrichen. Selbst nach der Verlegung in die Tötungsanstalten hatten Angehörige, so ergaben Aly’s Analysen, die Möglichkeit, behinderte Verwandte nach Hause zu holen und ihr Leben zu retten. Nur wenige machten davon Gebrauch. Und nur wenige Einrichtungsleitungen widersetzten sich den Anweisungen der Verwaltung. Umso bemerkenswerter seien die Predigten von Bischof von Galen, der in der Lambertikirche in Münster öffentlich die Tötung von kranken und behinderten Menschen anprangerte. Die katholische Kirche sei damals die einzig verbliebene ernstzunehmende Gegnerin des Naziregimes gewesen. Die Frage nach den Gründen, warum die katholische Kirche, bis auf wenige Ausnahmen, nicht stärker öffentlichen Widerstand geleistet hatte, verfolgt Götz Aly in seiner weiteren Forschung.

Themenreihe „Exklusion und Inklusion – früher und heute“

Der Abend war der gelungene Auftakt der mehrteiligen Themenreihe „Exklusion und Inklusion – früher und heute“, die das Institut für Teilhabeforschung, das Innovation-Lab Münster (beide KatHO NRW) sowie die Stadtkirchengemeinde St. Lamberti Münster veranstalten. Sie wird vom Verein MÜNSTER INKLUSIV DENKEN e.V. unterstützt. Anlass der Themenreihe ist das 10-jährige Bestehen der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland.

Am 22.01.2020 wird die Reihe fortgesetzt zum Thema „Unterbringung von Menschen mit Behinderung in Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Psychiatrie in den 1950er bis 1970er Jahren - Bedingungen, Auswirkungen, aktuelle Relevanz“. Zu Gast sein werden Dr. Nils Löffelbein, Britta Möwes, M.A. und Dr. Uwe Kaminsky. Der Themenabend findet am 22.01.2020 um 18 Uhr in der Katholischen Hochschule NRW, Piusallee 89 im Raum 136 in Münster statt.

Bürgerinnen und Bürger sowie Studierende, Lehrende und Forschende der Hochschulen in Münster sind herzlich eingeladen.

Dr. Christine Koeppe, Prof. Dr. Friedrich Dieckmann

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Fotos: Jule Wevering