Behinderung in Zeiten von Corona
Menschen mit Behinderung als Early Adopter digitaler Technologien
26. Januar 2021

Am 26.01. fand der Vortrag von Dr. Janina Urussowa zum Thema „Mein Unternehmen hat den Lockdown nicht bemerkt. Warum die Expertise von Menschen mit Behinderung als Early Adopter digitaler Technologien für die Wirtschaft relevant ist“. Dabei handelte es sich um den vierten und letzten Vortrag der Vortragsreihe „Behinderung in Zeiten von Corona“, organisiert durch das Transfernetzwerk Soziale Innovation (s_inn) der Evangelischen Hochschule Rheinland Westfalen Lippe, das Bochumer Zentrum für Disability Studies (BODYS) und dem Sozial-Wissenschaftsladen.

Dr. soc. Janina Urussowa ist studierte Architektin, promovierte Kulturwissenschaftlerin, Sozialunternehmerin und Fachfrau für Unternehmenskommunikation und Inklusion von Behinderung in der Modeindustrie. Seit Beginn der COVID-19-Pandemie fiel Urussowa zunehmend auf, dass Menschen mit Behinderung eher eine Opferrolle zugeschrieben bekamen. Diese Sichtweise wollte sie mit ihrem Inklusionsprojekt „IN YOUR MOCCASINS“ ändern, einer Videoreihe, bei der neun erfolgreiche behinderte Menschen interviewt wurden. Die Teilnehmenden des Videoprojektes erzählten von ihren persönlichen Erfahrungen mit der Bewältigung von Krisen und über den Einsatz von digitalen Technologien, welche ihnen im Alltag, aber auch im Berufsleben Selbstbestimmtheit und Teilhabe ermöglichen. Die Videoreihe wollte aufzeigen, was die Gesellschaft und Unternehmen – gerade während der Pandemie – von Menschen mit Behinderungen als Early Adopter durch die Anwendung digitaler Technologien sowie über den Umgang mit Krisen lernen können. Des Weiteren lieferte Urussowa mit ihrem Vortrag einen Einblick in Projekte in Russland, die sich dem Thema der beruflichen Inklusion von Menschen mit Behinderungen angenommen und diese als Ziel gesetzt haben. So schlug sie einen Perspektivwechsel vor: Statt zu fragen, wie behinderte Menschen die Pandemie erleben, sollte vielmehr die Aufmerksamkeit darauf gerichtet werden, welche Qualifikationen und Erfahrungen jene mitbringen, die es erleichtern, sich den Herausforderungen der Pandemie und eines Lockdowns zu stellen. Dabei sollte auch der Blick darauf gerichtet werden, welches Wissen diese Menschen beispielsweise an ihre Arbeitsgeber oder an Unternehmen weitergeben können.

Auf Frau Dr. Urussowas Vortrag folgte eine teilweise durchaus kontroverse Diskussion mit den Teilnehmenden. Auf der einen Seite wurde der Forderung der Referentin zugestimmt, dass der Blick auf Menschen mit Behinderungen häufig noch zu defizitorientiert sei. Ein diesbezügliches Umdenken auf gesamtgesellschaftlicher Ebene wurde begrüßt. Auf der anderen Seite wurde jedoch auch auf die Verantwortung der Gesellschaft für die Lebenssituation behinderter Menschen verwiesen. Es sei problematisch, die Inklusion an Leistungsstärke zu knüpfen. Ein diskriminierungsfreier Zugang zum ersten Arbeitsmarkt gehöre vielmehr zu ihren grundlegenden Rechtsansprüchen. Andere Teilnehmende sahen die Rolle der Unternehmen kritischer und verwiesen auf deren problematische Kooperationen mit Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, die i.d.R. keine Entlohnung nach Mindestlohn vorsähen.

Am Ende der Diskussionsrunde wurde das gemeinsame Fazit gezogen, dass Inklusion, beispielsweise in Unternehmen, aber auch generell in der Gesellschaft, nicht durch eine gesetzliche Quote erzwungen werden könne, sondern durch stetige Veränderung wachsen müsse.