Über Kontinuität und Ausprägungen
mensch.macht.rasse
13. Januar 2020

100 Interessierte besuchten die Veranstaltung von Organisatorin Sinem Malgac, welche ein spannendes Programm aus Vorträgen, Podiumsdiskussion und politischem Kabarett auszeichnete.

Es ist rund ein Jahr her, dass die Evangelische Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe von den Macher_innen des Chormusicals Martin Luther King angesprochen wurde, ob sie nicht eine inhaltliche Begleitveranstaltung anbieten wolle.

Herausgekommen ist der Fachtag "mensch.macht.rasse", zu dem EvH und das Transfernetzwerk Soziale Innovation - s_inn am Montag, 13. Januar 2020, von 14 bis 21 Uhr in die Kammerspiele des Schauspielhauses Bochum einluden.

Die Idee verdeutlichte Sigrid Graumann noch etwas ausführlicher: Anlässlich des Musicals zum Gedenken an den Bürgerrechtler Martin Luther King, sollte beim Fachtag über rassistische Einstellungen und Praktiken gesprochen und dafür sensibilisiert werden. Ziel war dabei "die Kontinuität und Ausprägungen von Rassismus hierzulande aus unterschiedlichen Perspektiven zu thematisieren", so die EvH-Rektorin.

Neben theoretischem Input aus den verschiedenen Vorträgen erhielten die Teilnehmenden auch einen praktischen Einblick in das Themenfeld. So bestand etwa die Möglichkeit, sich an Infoständen im Foyer mit lokalen Gruppen auszutauschen, die sich zu Themen wie Rassismus, Flucht und Migration engagieren. Gekommen waren Vertreter_innen der "Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum", von Amnesty International, dem Flüchtlingsrat NRW, des literarischen Demokratieprojekts "Neu in Deutschland", der Creativen Kirche selbst und der "Unabhängigen Beschwerde- und Informationsstelle Flucht", einem Pilotprojekt des Transfernetzwerks Soziale Innovation - s_inn an der EvH.

Moderiert wurde die Veranstaltung von EvH-Prorektorin Cinur Ghaderi, die die Anwesenden dazu ermutigte sich intensiv mit rassistischen Praktiken zu befassen, daraus zu lernen und sich Fragen zu stellen wie: Was heißt das eigentlich genau? Wo steht hier jeder Einzelne, als Person und als Institution?

Den Auftakt machte Dr. Fabian Alexander Georgi von der Philipps-Universität Marburg mit seinem Vortrag "Kritik der Migrationspolitik - zur Rolle von Grenzregimen im Kapitalismus". Georgi ging von der Frage nach den Ursachen für die Politik einer „Abschottung“ gegenüber Migrant_innen aus, welche keineswegs selbstverständlich sei. Schließlich ließe sich Migration genauso als positives Zeichen dafür deuten, dass Menschen negative Lebensbedingungen nicht ‚einfach‘ akzeptierten und ihre Autonomie behaupteten. Als wesentliche drei „Triebkräfte der Abschottung“ analysierte er im Weiteren 1.) Rassismus, 2.) eine „nationale Formbestimmung des Politischen“, die sich mit materiellen Zugeständnissen an die ‚Einheimischen‘ verbinde, sowie 3.) die imperiale, kapitalistische Lebensweise des ‚Nordens‘, die durch Grenzregime stabilisiert werde. Den Abschottungspolitiken stellte Georgi am Ende seines Vortrags die Perspektiven der Internationalisierung und der Menschenrechte gegenüber: Durch diese könne „Staatsbürgerschaft“ als schlicht „feudales“ und ethisch eigentlich nicht legitimierbares Prinzip der Ein-/Ausgrenzung grundsätzlich in Frage gestellt werden.

Ihm folgte Prof. Dr. Karim Fereidooni von der Ruhr-Universität Bochum mit seinen Ausführungen zum Thema "Alltagsrassismus am Beispiel der Institution Schule". Er wies zunächst auf die allgemeine Relevanz einer rassismuskritischen „Analysebrille“ hin, da jede in Deutschland sozialisierte Person „rassistisches Wissen“ besitze. Bei seinem Blick auf Alltagsrassismus in Schulen bezog sich Fereidooni vor allem auf die Erfahrungen von Lehrkräften. Anhand von Interviewzitaten aus seiner Dissertation zeigte er eindrücklich, welche abwertenden Zuschreibungen Lehrkräfte in ihrem beruflichen Alltag erleben, die vom Kollegium sowie Schüler_innen als ‚nichtdeutsch‘ wahrgenommen werden. Rassismuskritik und eine entsprechende Selbstreflexion müssten generell forciert, aber eben auch zu einem festen Bestandteil der Ausbildung von Lehrkräften werden.

Im Anschluss daran präsentierte Irina Toteva vom „Elternnetzwerk NRW – Integration miteinander e.V.“ Ergebnisse zu Rassismuserfahrungen von Vertreter_innen afrikanischer Vereine aus NRW. Sie bezog sich dabei auf eine Befragung, die im Rahmen des von ihr geleiteten Projektes „Dialog Afrika“ durchgeführt wurde. Toteva zeigte eindrücklich, dass Rassismus eine mehrheitlich geteilte Erfahrung der Umfrageteilnehmenden ist, die sich zudem auf viele Situationen ihres alltäglichen Lebens erstreckt. Sich viel mit Rassismus und dessen Ursachen zu beschäftigen, sei daher für viele der Befragten ‚normal‘. Als „Schutzräume“ nähmen sie nicht zuletzt Formen der Vergemeinschaftung in der eigenen ‚Community‘ wahr.

"Desintegriert Euch!": Nach einer Kaffeepause befasste sich Dr. Max Czollek, Kurator, Lyriker und Autor des viel diskutierten, 2018 erschienenen Buches „Desintegriert Euch!“, mit möglichen Gegenstrategien in Bezug auf Diskriminierung und Zuschreibungen. Solche Strategien lotete Czollek mit Blick auf den künstlerischen Bereich, insbesondere das Theater aus. Hierbei wies er zunächst auf eine schwierige Dialektik hin: Zwar hätten sich durch die Öffnung der Theater für mehr Diversität die Chancen erweitert, auch Perspektiven jenseits der ‚weißen, männlichen‘ Dominanzkultur auf die Bühne zu bringen. Zugleich verbinde sich damit aber die häufige Erwartung an die Künstler_innen, Diskriminierungserfahrungen „authentisch“ zu thematisieren. Es gäbe jedoch Möglichkeiten, produktiv – oder: subversiv – auf solche Erwartungshaltungen zu reagieren. Eine Gegenstrategie könne darin bestehen, das Konzept der Authentizität zu konterkarieren und etwa ein „Fake-Dokumentar-Theater“ ins Leben zu rufen.

Mona El Omari, politische Bildnerin, Empowerment-Arbeiterin und Spoken Word Poetin aus Berlin, wählte abschließend die freiere Vortragsform des Flows, um unter dem Titel „As if the Truth were already true“ verschiedene „Re/Visionen von Empowerment, Individuum, Community und Liminal Spaces“ zu skizzieren. In ihrem Flow nahm El Omari die Kategorie des „Weißseins“ in den Blick und betonte die besondere Verantwortung „weißer“ Menschen für die Kontinuität, aber auch Überwindung rassistischer Denkmuster und Praxen. Schließlich profitierten diese von Rassismus, ohne ihre Privilegien wirklich zu reflektieren. Zu diesen gehöre etwa, sich nur zu ausgewählten Zeiten – wie im Rahmen einer Tagung – mit Rassismus zu befassen. Sie plädierte dafür, Rassismus weniger als Problem „schwarzer“, sondern gerade auch – und hier griff sie u.a. die provokante Metapher vom „Weißsein als Psychose“ auf – als Problem „weißer“ Menschen zu sehen.

Nach einer regen Podiumsdiskussion zwischen Organisator_innen, Referierenden sowie dem Publikum, in der u.a. die Frage nach der Verantwortung wieder aufgegriffen wurde, sorgte Simon Pearce mit seinem Programm "Allein unter Schwarzen" für einen humorvollen Abschluss.