Weitere Erosion der Solidarität durch Corona?
Online-Veranstaltung: "Geflüchtete an den (Außen-)Grenzen Europas"
08. Oktober 2020

Am 21.09.2020 fand eine Online-Veranstaltung des Transfernetzwerks zu der Fragestellung "Geflüchtete an den (Außen-)Grenzen Europas – weitere Erosion der Solidarität durch Corona?" statt. Durch die Ereignisse auf Lesbos und die darauffolgenden Debatten über die Aufnahme von Geflüchteten war das Thema von besonderer Aktualität. Mit Carla Scheytt (SEEBRÜCKE Bochum) und Marcus Wernery (Sea-Watch) konnten Referent_innen gewonnen werden, die sich aktiv für eine solidarische Flüchtlingspolitik engagieren.

Der Abend begann mit zwei Präsentationen der beiden Referent_innen, in denen sie Entstehungsgeschichte und Profil von „Seebrücke“ und „Sea-Watch“, vor allem aber konkrete Aktivitäten und Erfahrungen seit Ausbruch der Pandemie darstellten. Wichtige Fragen waren hierbei, inwieweit „Corona“ die Seenotrettung auf dem Mittelmeer sowie öffentliche Aktionen resp. Demonstrationen in Bochum erschwerte, und ob die Referent_innen bei ihrem Engagement einen Rückgang der Solidarität mit den Geflüchteten an Europas Grenzen wahrnehmen.

Zivilgesellschaftliches Engagement trotz Einschränkungen durch Corona

Carla Scheytt und Marcus Wernery haben in ihren Präsentationen eindrücklich gezeigt, dass die Arbeit trotz pandemiebedingter Einschränkungen und Schutzmaßnahmen intensiv weitergeführt wurde. Das Team der Sea-Watch 3 erlebte durch erforderliche Quarantäne-Zeiten zwar Verzögerungen; dennoch konnte das Ziel der Seenotrettung realisiert werden, was Marcus Wernery für die Teilnehmenden der Veranstaltung auch mit Bildmaterial von der Mission illustrierte.

Ambivalente Einschätzung zum Thema Solidarität

In Bezug auf die übergeordnete Frage der Solidarität fielen die Einschätzungen ambivalent aus. Eine wichtige positive Erfahrung der Referent_innen war, dass sich eine an Abschottung und Grenzziehungen orientierte Haltung, wie sie sich auf europäischer Ebene vielfach zeigt, im Austausch mit Bürger_innen nicht in dieser Weise widerspiegelt. Carla Scheytt betonte etwa, bei ihrem Engagement für die Seebrücke während der letzten Monate auf viel Zustimmung und Offenheit für die Ziele der Initiative gestoßen zu sein. Auch Marcus Wernery konnte von einer eher unterstützenden Haltung der lokalen Bevölkerung für das Team der Sea-Watch berichten. 

Auf der Ebene politischer Diskurse und Entscheidungsprozesse wurden hingegen gravierende Probleme gesehen. Mit Blick auf die aktuelle Frage, wie viele der Geflüchteten aus Moria aufgenommen werden, kam Carla Scheytt etwa auf die Klassifikationen zu sprechen, von denen entsprechende Debatten geprägt seien. Der Fokus richte sich auf Familien mit Kindern oder unbegleitete minderjährige Geflüchtete, während jungen Männern, die allein geflüchtet seien, tendenziell eine Schutzbedürftigkeit abgesprochen werde. Dieser Punkt wurde auch in der anschließenden Diskussion von Teilnehmenden erneut aufgegriffen: Die politische und mediale Auseinandersetzung über die "richtige" Form der Solidarität mit Geflüchteten werde häufiger von negativen, kaum noch hinterfragten Stereotypen überlagert, die einem universalen Verständnis zuwiderliefen.     

Über Zoom und YouTube nahmen etwa 50 Interessierte aus Hochschule, Sozialwirtschaft und zivilgesellschaftlichen Initiativen teil. Das Publikum beteiligte sich mit verschiedenen Wortbeiträgen, so dass die zweite Hälfte der Veranstaltung dialogisch verlief. Wir bedanken uns für die engagierte Beteiligung und freuen uns auf die nächste Veranstaltung!

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