Perspektiven für Care Leaver
31. Januar 2020

Junge Erwachsene berichten von ihrem Leben in und nach stationären Erziehungshilfen und diskutieren Ideen zur Weitentwicklung des Hilfesystems.

Junge Erwachsene stehen nach Beendigung der stationären Hilfen zur Erziehung nicht selten allein vor der Bewältigung einer Vielzahl von Übergangsthemen: Wohnraumbeschaffung, Sicherstellung des Schulbesuchs, Entwicklung von Berufsperspektiven, Aufarbeitung schwieriger Lebensereignisse sowie mit dem Umgang begrenzter finanzieller Mittel. Diese Themen müssen häufig parallel bearbeitet werden, was für viele „Care Leaver“ eine Überforderung darstellt. Diese komplexen Bewältigungsaufgaben standen im Mittelpunkt des hier beschriebenen partizipativ ausgerichteten Forschungsprojektes. In Kooperation mit dem Sozial-Wissenschaftsladen wurde im Rahmen einer mehrstündigen Gruppendiskussion mit jungen Erwachsenen u.a. den Fragen nachgegangen, wie vorliegende Hilfeideen für „Care Leaver“ bewertet werden bzw. wie diese umzusetzen sind.

Prof. Dr. Eva Christina Stuckstätte entwickelte die Forschungsidee in Kooperation mit acht jungen Erwachsenen, mit und ohne stationäre Jugendhilfeerfahrungen, in Einzelgesprächen weiter. Vier der acht Gesprächspartner_innen nahmen im Anschluss an die Einzelgespräche an einer inhaltlich vorstrukturierten Gruppendiskussion teil.

Um den Übergangsthemen der jungen Erwachsenen offen zu begegnen und einer klientelisierenden Perspektive entgegenzuwirken (vgl. BMFSFJ, 15. KJB, S. 484), wurden in der Gruppendiskussion zunächst die zentralen Übergangsthemen im jungen Erwachsenenalter erörtert. Erkenntnisse aus der Forschung über zentrale Themen junger Erwachsener wurden auf die eigenen biographischen Erfahrungen hin überprüft und um spezifische Aspekte der Lebenslage „Leaving Care“ ergänzt. Dabei ergaben sich Hinweise auf Unterstützungsnotwendigkeiten für „Care Leaver“, die zur Diskussion über die Weiterentwicklung der Hilfen zur Erziehung bzw. über spezifische Hilfeideen für junge Volljährige führten. Die Frage: „Was brauchen junge Menschen im Übergang ins Erwachsenenalter?“ wurde hier zunächst unabhängig vor der Frage nach den Möglichkeiten der Jugendhilfe gestellt.

Die Ergebnisse der Diskussion zeigten, dass die jungen Erwachsenen die vorliegenden Erkenntnisse zu aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen ihrer Altersgruppe bestätigen. Besonders biographisch relevant waren für die „Care Leaver“ die Themen Bildung, soziale Beziehungen, Chancenungleichheit und der Wunsch gesellschaftlich dazugehören zu wollen. Bei jungen Menschen in Erziehungshilfen dominierten jedoch die „care-leaver-spezifischen“ Herausforderungen. Schließlich mussten sie sich deutlich früher als Gleichaltrige mit der Frage auseinandersetzen, wie ihr Leben nach der stationären Jugendhilfe aussehen soll. Aufgrund dieses massiv erlebten Drucks konnte das Gefühl der „Jugend“ in den Erziehungshilfen nur begrenzt ermöglicht werden. Statt sich zum Beispiel mit dem Thema „Partnerschaft“ in der Pubertät auseinanderzusetzen dominierten Fragen zur Sicherstellung des Schulbesuchs oder zum Umgang mit psychischen Belastungen sowie finanziellen Problemen.

Es folgten Überlegungen zur Weiterentwicklung des Hilfesystems für „Care Leaver“ (vgl. Sievers u.a. 2016, Sievers 2019, Dialogforum Pflegekinderhilfe 2018). Diskutiert wurden hierbei vor allem die Ideen zum Aufbau regionaler Vernetzungsstrukturen für „Care Leaver“ sowie einer frühzeitigen Übergangsbegleitung. Des Weiteren wurde überlegt, wie durch Lobbyarbeit aber auch durch konkrete Unterstützung von „Care Leavern“ für „Care Leaver“ Übergangshilfe vor Ort geleistet werden kann. Konzepte der Übergangsbegleitung aus dem In- und Ausland wurden diskutiert und auf das deutsche System übertragen.

Nach Vorlage der inhaltsanalytisch gewonnenen Ergebnisse (Mayring 2015) hatten die jungen Erwachsenen die Gelegenheit, diese zu kommentieren und darüber hinaus mitzuentscheiden, welche Aspekte veröffentlicht werden sollen. Zudem willigten sie ein, dass die Erkenntnisse in einem Kreis von Expert_innen diskutiert werden dürfen, der sich seit 2014 mit Zukunftsfragen der Jugendhilfe beschäftigt.

Die Teilnehmenden dieses Kreises (Prof. Dr. Reinhold Schone, FH Münster/Heinz Müller, ISM Mainz/Prof. Dr. Gregor Hensen, FH Osnabrück/Prof. Dr. Michael Behnisch, FH Frankfurt/ Prof. Dr. Eva Christina Stuckstätte, KatHO NRW) kamen im Rahmen eines Workshops u.a. zu dem Ergebnis, dass folgende Fragestellungen innerhalb der Jugendhilfe zu klären sind:

Erst nach Klärung dieser Fragen können konzeptionelle und strukturelle Konsequenzen folgen. Zudem wurde resümiert, dass Jugendhilfe allein einen gelingenden Übergang nicht sicherstellen kann. Es bedarf einer neuen Qualität des Sich Einstellens sozialer Systeme insgesamt auf die Bedürfnisse junger Erwachsener. 

Ein weiterer Forschungsbedarf wurde vor allem in der Erhebung von Daten zu den Lebenssituationen der „Care Leaver“ nach der stationären Jugendhilfe gesehen. Die KatHO NRW greift dieses Forschungsanliegen aktuell im Rahmen eines Lehrforschungsprojektes im Masterstudiengang „Netzwerkmanagement in der Sozialen Arbeit“ in Kooperation mit dem Careleaver e. V. Deutschland auf.

Ein ausführlicher Fachartikel zu den Ergebnissen des hier vorgestellten Projektes ist in Vorbereitung. 

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