VERANSTALTUNG AUS DER THEMENREIHE DES PROJEKTS BEWEGT
Themenabend "Herausforderndes Verhalten bei Kindern mit Beeinträchtigungen"
28. April 2022

Der Themenabend "Herausforderndes Verhalten bei Kindern mit Beeinträchtigungen", der Veranstaltungsreihe "Wege finden" stieß am 2. März 2022 mit 147 Teilnehmenden auf sehr großes Interesse.

Als Referentinnen hat das Bewegt-Team Frau Angela Sichelschmidt, Autsimustherapeutin (mebus körmann Stiftung und Leben mit Autismus Bonn/Rhein-Sieg/Eifel e.V.) und Frau Kristina Scheunert, B.A. Erziehungswissenschalftlerin und erfahrene Fachkraft der Lebenshilfe Bonn, eingeladen.

Die beiden Expertinnen stellten mögliche Ursachen für herausfordernde Verhaltensweisen bei Kindern mit Autismus-Spektrum Störungen bzw. bei Kindern mit kognitiven Beeinträchtigungen vor und zeigten einige Möglichkeiten im Umgang mit diesen Verhaltensweisen auf.

Nach einer kurzen Definition führte Frau Kristina Scheunert interaktiv in den Abend ein. Die Teilnehmenden konnten mit Hilfe eines Online-Tools aufschreiben, welche Verhaltensweisen sie als herausfordernd wahrnehmen. Es entstand eine beeindruckende Wortwolke von externalisierenden (nach außen gerichtet), internalisierenden (nach innen gerichteten) und selbstverletzenden Verhaltensweisen. Es zeigte sich, dass die Bewertung von herausfordernden Verhaltensweisen individuell ist und unterschiedliche wahrgenommen wird. Der Begriff Herausforderndes Verhalten verweist auf eine doppelte Herausforderung: Zum einen für das handelnde Kind zum anderen für die soziale Umwelt, die das Verhalten als unangepasst und nicht situationsbezogen empfindet.  
Die Erfahrung des eigenen Versagens oder Überforderung aber auch das Erleben von Unterforderung oder Nicht-Beachtung kann bei Kindern herausfordernde Verhaltensweisen auslösen. Mit den Verhaltensweisen steigt der Handlungsdruck im Umfeld des Kindes. Dieser Handlungsdruck kann zu Überforderungssituationen führen. Gleichzeitig überfordert das Verhalten des Umfeldes das handelnde Kind. Hier kam die Frage auf: wie dieser Kreislauf der gegenseitigen Überforderung unterbrochen werden kann. Frau Scheunert gibt den Teilnehmenden mit auf den Weg, dass jede Verhaltensweise des Kindes die Intention hat, ein Problem lösen zu wollen. Sie weist auch darauf hin, dass nicht jede Verhaltensweise, die das Umfeld irritiert den Kinder abtrainiert werden muss und zitiert hierzu Henry David Thoreau:

„Wenn ein Mensch nicht im selben Takt geht wie alle anderen, beruht das vielleicht darauf, dass er einen anderen Trommler hört. Lass ihn wandern im Takt der Musik, die er hört.“

Des Weiteren empfiehlt Frau Scheunert, insbesondere den teilnehmenden Eltern, die Methode: der „goldenen Brille“.  Es sei wichtig sich die Stärken, Fähigkeiten und Ressourcen des Kindes zu vergegenwärtigen. Hierbei unterstützen Fragestellungen wie:

Den zweiten Teil des Abends referierte Frau Sichelschmidt über die Wahrnehmungsbesonderheit bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen, die der Schlüssel im Umgang mit Herausforderndem Verhalten bei diesen Kindern ist.

Die Wahrnehmung ist abhängig von Erwartungen, die aus dem Kontext erwachsen. Fehlt der Kontext kommt es in der Wahrnehmung zu Fehlinterpretation. Das dies nicht nur für Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung gilt, verdeutlicht Frau Sichelschmidt anhand mehrerer Übungen. So wurde zum Beispiel der Gesichtsausdruck eines Jungen von 92 Prozent der Teilnehmenden missinterpretiert, da nur ein Bildausschnitt vorlag und der Kontext nicht sichtbar war. Die Übung verdeutlichte, warum es Kindern mit Autismus- Spektrum-Störungen schwerfällt, soziale Signale zu deuten und sich in unterschiedlichen Situationen angemessen zu verhalten. Aufgrund einer sogenannten Kontextblindheit können viele der Kinder Situationen nicht richtig einschätzen und Regeln nicht flexibel an die Situation, also den jeweiligen Kontext, anpassen. Dass die Kontextblindheit auch zu einer Reizüberflutung führen kann, konnten die Teilnehmenden ebenfalls anhand einer Übung erfahren. Mangels Kontext erscheinen alle äußeren Reize (z.B. Töne) als gleich wichtig, Unwichtiges wird nicht richtig gefiltert und das Gehirn stattdessen mit Details überlastet. Diesem „Overload““ versucht das Kind mit seinen Verhaltensweisen entgegenzuwirken.

Kontextsensitivität hingegen hilft, soziale Signale und Sprache zu verstehen. Woher wissen wir, ob etwas ironisch gemeint ist? Wie können wir Tränen der Trauer von Tränen der Freude unterscheiden? Soziale Signale ihren Gesamtzusammenhang einzuordnen fällt Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen schwer. Sie erkennen nicht, welche Art von
Komplimenten beim Smalltalk sozial angepasst sind und welche nicht. Das führt oftmals zu Unverständnis und Ausgrenzung von Seiten der Gesellschaft.

Frau Sichelschmidt rät den Teilnehmenden im Umgang mit den Kindern den Kontext pro aktiv sichtbar zu machen. Hilfreich ist es zum Beispiel, eingeübte Rituale zu nutzen. Auch Karten, die Gefühle darstellen, können hilfreich sein, das Erkennen von Gefühlen zu schulen.

Im Anschluss der Vorträge standen die beiden Expertinnen den Teilnehmenden für Fragen zur Verfügung. Es zeigte sich, dass ein großer Austausch- und Beratungsbedarf, insbesondere bei den teilnehmenden Eltern, besteht.  Um den Eltern einen tiefergehenden Austausch in einem geschützteren Rahmen zu ermöglichen, wird derzeit eine vertiefende Veranstaltung geplant, in der Möglichkeiten aufgezeigt und ausprobiert werden mit herausfordernden Verhaltensweisen umzugehen.

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