Themenabend "Kinder mit psychischen Beeinträchtigungen"
12. Juli 2022

Am 4. Mai 2022 freute sich das Projektteam von BeWEGt, die beiden Referentinnen Frau Joana Langenbrinck, Dipl. Psychologin mit Approbation zur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes Bielefeld, und Frau Judith Rohm, Kinder- und Jugendpsychiaterin im Gesundheitsamt Bonn, sowie interessierte Eltern und Professionelle begrüßen zu dürfen.

Nach einer Begrüßungsrunde und kurzen Vorstellung gab Frau Langenbrinck zunächst eine Definition von psychischen Erkrankungen. Diese stellen eine sehr große Herausforderung im öffentlichen Gesundheitssystem dar, da fast 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen innerhalb eines Jahres an einer psychischen Erkrankung leiden. Aufgrund der Auswirkungen der pandemiebedingten Beschränkungen stieg die Zahl der betroffenen Kinder und Jugendlichen auf 30 Prozent an. Generell ist festzuhalten, dass 50 Prozent aller psychischen Erkrankungen vor dem 18. Lebensjahr entstehen. Lediglich fünf Prozent der unter 18-Jährigen Kinder und Jugendlichen sind in psychotherapeutischer Behandlung, was sich auf mangelnde Kapazitäten zurückführen lässt, so die Referentin. 

Als Beispiel für psychische Erkrankungen im Kleinkindalter wurden Entwicklungsstörungen oder Bindungsstörungen angeführt. Häufig wird beobachtet, dass es im Kindesalter zu einer Zunahme von Ängsten und Depressionen, ADHS und Störungen des Sozialverhaltens kommt.

Im Jugendalter werden gehäuft Depressionen, Angststörungen, Essstörungen sowie psychosomatische Störungen diagnostiziert. Zudem steigt die Anzahl an betroffenen Jugendlichen mit Substanz- und Medienabhängigkeiten. 

Aktuell ist zu beobachten, dass es vor allem zu steigenden Therapieanfragen von Kindern in Übergangsphasen, wie zum Beispiel vom Kindergarten in die Schule, kommt. Die Wartezeit für eine Psychotherapie beträgt zurzeit sechs bis acht Monate. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, da ansonsten ein Anstieg der Schwere der Erkrankung sowie die Gefahr der Chronifizierung aufgrund von langen Wartezeiten zu befürchten ist.

Der kinder- und jugendpsychiatrische Dienst Bielefeld stellt für in Bielefeld lebende Familien eine sehr gute Anlaufstelle dar und bietet eine Beratung bis zur Volljährigkeit der Kinder an. Besonders hervorgehoben wurde die gute Vernetzung mit anderen Institutionen. Hauptaufgabenfelder sind u. a. die Unterstützung bei Einweisungen mit richterlichem Beschluss, die Beratung vor, während und nach einem stationären Aufenthalt, die Teilnahme an Helferkonferenzen sowie das Weitervermitteln zu anderen Hilfen oder Ämtern, wie Sozialamt und Jugendamt. Die Trans*Beratung stellt einen gesonderten Bereich in der Beratung dar, der zunehmend nachgefragt wird. 

Wenn die Notwendigkeit besteht, dass stationäre Angebote in Anspruch genommen werden müssen, wird an die Universitätsklinik – Kinder und Jugendpsychiatrie Bethel – verwiesen. Auch die psychosomatische Station der Kinderklinik Bethel stellt für psychosomatische Störungen sowie Essstörungen eine passende Anlaufstelle für Eltern mit ihren betroffenen Kindern dar. Auch die Vermittlung von Angeboten im ambulanten Bereich ist eine Aufgabe des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes. Hierzu gehören regionale Kinder- und Jugendpsychiater_innen, Kinder- und Jugendpsychotherapeut_innen, Mitarbeiter_innen des Gesundheitsamtes sowie das Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) der Kinderklinik in Bethel. 

Ergänzend stellte Frau Rohm die Tätigkeiten der kinder- und jugendpsychiatrischen Sprechstunde des Gesundheitsamtes in Bonn vor. Häufig besteht bei den ratsuchenden Familien eine große Unsicherheit, inwieweit die Anlaufstelle passend für die jeweilige Bedarfslage ist. Oftmals stellt die Inanspruchnahme einer psychologischen Beratungsleistung eine große Hürde für die Familien dar. Dieser Eindruck soll durch die kinder- und jugendpsychiatrische Sprechstunde in Bonn aufgelöst werden. Die Beratung wird telefonisch, per E-Mail, in der Beratungsstelle vor Ort und als Hausbesuch angeboten. Die Referentin beschreibt einige Themenfelder der Beratung wie z. B. bedrückte Stimmung, familiäre Konflikte, Hinweise auf psychische Konflikte, Ängste und Sorgen, Schulabsentismus und Suizidgedanken. (Letzteres gilt jedoch nicht bei akuter Selbst- und Fremdgefährdung; hier wird an die LVR-Klinik verwiesen.)

Ein Team bestehend aus einer Kinder- und Jugendpsychiaterin, einer Sozialarbeiterin und einer Medizinischen Fachangestellten ist für die Familien eine offene und freundliche Anlaufstelle, in der psychosoziale Beratung und Begleitung stattfindet. Verschiedene Angebote werden vermittelt, abgestimmt und zum Wohle der Familie vernetzt. Die Beratung ist ein freiwilliges Angebot für Familien und  Schüler_innen aus Bonn. Bestehende Hilfssysteme werden im Sinne der Familie mit einbezogen.

Im Anschluss an die beiden Vorträge erfolgte ein Austausch im Plenum. Es wurde angeregt, in Bonn die Arbeitsgruppe zur Vernetzung im Sinne von Kindern mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS) wieder aufleben zu lassen. Des Weiteren wurde die Problematik der Versorgung von Kindern mit sogenannter geistiger Behinderung sowie psychischer Erkrankung thematisiert. Es fehlen passende Angebote, weil es keine spezialisierten Therapeut_innen gibt, wa zu einer Versorgungslücke führt. Hier besteht eindeutig Verbesserungsbedarf, so sind sich alle Teilnehmer_innen einig. Auch wünschen sich Familien für ihre betroffenen Kinder eine bessere Gestaltung der Übergänge ins Erwachsenenalter. Häufig fallen Jugendliche mit 18 Jahren aus den Systemen raus, was ein echtes Versorgungsproblem darstellt.

Es war ein sehr informativer Abend und die Thematik ist bei den teilnehmenden Eltern und weiteren Interessierten aus dem Netzwerk auf großes Interesse gestoßen.

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