eine kritische Reflexion anhand einer qualitativen Befragung von Fachkräften der Sozialen Arbeit
Perspektivische Lösungsansätze bei Wohnungslosigkeit nicht anspruchsberechtigter EU-Zuwander*innen
08. März 2022

Die Wohnungslosigkeit von nicht anspruchsberechtigten EU-Zuwander_innen wird in Politik und Gesellschaft als zunehmende Herausforderung wahrgenommen.

Seitdem 2016 die Vorzüge der EU-Freizügigkeit durch einen Leistungsausschluss von Sozialhilfeleistungen nach SBG II und SGB XII durch den deutschen Staat stark eingeschränkt wurden, hat sich die Situation dieser Menschen zunehmend verschlechtert. Es entstehen Problemlagen durch sprachliche Barrieren, komplexe Lebenslagen, eine Unkenntnis hinsichtlich des deutschen Sozial- und Hilfesystems, den erschwerten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt und rechtliche Vorgaben. Mittellosigkeit und eine damit verbundene Perspektivlosigkeit führen zu einer vermehrten Inanspruchnahme von niedrigschwelligen Angeboten in der Wohnungslosenhilfe bis hin zum Nächtigen im öffentlichen Raum. Diese prekäre Lebenssituation hat sich durch die Einschränkungen des öffentlichen Lebens im Kontext der Corona-Pandemie nun noch zusätzlich verschärft.

An dieser Schieflage setzt die Bachelor-Thesis der katho-Studentin Ruth Kaminski an. Im Rahmen qualitativer Expert_innen-Interviews mit Fachkräften der Sozialen Arbeit wurden perspektivische Lösungsansätze bei Wohnungslosigkeit nicht anspruchsberechtigter EU-Zuwander_innen generiert, die im Folgenden komprimiert dargestellt und diskutiert werden.

Auf politischer Ebene wird ein Potenzial in dem Ausbau der Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern gesehen. Durch finanzielle Unterstützung und eine Erweiterung der Hilfsangebote Sozialer Arbeit vor Ort könnten die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern verbessert und so mögliche Push-Faktoren der Migration geschwächt werden.    
Um politisch Veränderungen bewirken zu können und der ausgeprägten Stigmatisierung der Zielgruppe entgegenzuwirken, muss eine intensive Lobbyarbeit betrieben werden. Solche Interessensvertretungen bieten die Chance, politisch Druck auszuüben und schwache Interessen sichtbar zu machen – und dies auf Landes-, Bundes- und europäischer Ebene. Vor allem die Profession der Sozialen Arbeit sollte diesbezüglich in die Pflicht genommen werden, die Interessen der Wohnungslosen zu vertreten und in die Politik zu tragen.
Im politischen Handlungsfeld der Stadtplanung ist ein thematischer Fokus auf die Konzeptentwicklung für gerechten Wohnraum zu legen, wenn die Situation der Zuwander_innen nachhaltig verbessert werden soll.            

Die bereits genannten Lösungsansätze stellen zugleich systematische Veränderungen dar, die auch auf gesellschaftlicher Ebene einen Wandel bewirken können. Aktuell verhindert das System eine erfolgreiche Integration der Zielgruppe. Durch Einzelmaßnahmen, wie jene oben, kann diese jedoch vorangetrieben werden. Weitere Lösungsansätze auf gesellschaftlicher Ebene können zudem eine interkulturelle Öffnung fördern, die wiederum einen Wendepunkt für die Situation nicht anspruchsberechtigter EU-Zuwander_innen darstellen kann.             
In diesem Zusammenhang spielt Sprache eine entscheidende Rolle. Da Sprach- und Integrationskurse aufgrund rechtlicher Bestimmungen für die Zielgruppe nicht kostenlos zugänglich sind, muss ein Fokus auf den Ausbau muttersprachlicher Streetwork- und Beratungsangebote gelegt werden. Neben der Sprache wird in den Ergebnissen vor allem eine kulturelle Barriere deutlich. Auf Seiten der Fachkräfte können interkulturelle Sensibilisierungskurse dabei helfen, intrinsische Vorurteile abzubauen und die Nähe zu ihren Adressat_innen zu erhöhen. So kann Vertrauen aufgebaut werden, das für die Wirksamkeit der Hilfeleistung in der Sozialen Arbeit von zentraler Bedeutung ist.

Die Politik ist dazu aufgerufen, den Anliegen der Sozialen Arbeit Gehör zu schenken und kooperativ mit ihr zusammenzuarbeiten. Um allerdings eine langfristige Verbesserung der Lebenssituation der nicht anspruchsberechtigten wohnungslosen EU-Zuwander_innen zu erzielen, bleibt eine Gesetzesänderung, die einen Zugang zu Sozialhilfeleistungen ermöglicht, der aussichtsreichste und gleichzeitig herausforderndste Ansatz. Einen Schritt in diese Richtung kann die erwähnte Maßnahme der Intensivierung von Lobbyarbeit darstellen, wodurch wiederum Druck auf die politischen Akteur_innen ausgeübt werden kann. Neben den Möglichkeiten der interkulturellen Öffnung wird in dieser Maßnahme die vielversprechendste Perspektive gesehen. Die vorliegende Lektüre kann somit gleichermaßen als Appell an die Profession der Sozialen Arbeit verstanden werden, sich aktiv für die schwachen Interessen der Zielgruppe einzusetzen.  

Kontakt