Netzwerktreffen für geflüchtete Kinder und Familien aus der Ukraine
01. April 2022
Tristan Steinberger
Agenturleitung
0221/7757 - 465

Der Krieg in der Ukraine hat viele Menschen in die Flucht getrieben. Insbesondere Kinder, Jugendliche und Familien befinden sich auf der Flucht und kommen auch in Deutschland an. Das Leid, das der Krieg verursacht hat, bringt Anteilnahme, aber auch den Wunsch sich zu engagieren mit sich. Daher hat das Transfernetzwerk Soziale Innovation – s_inn in Kooperation mit dem Institut für Forschung und Transfer in Kindheit und Familie (foki) sowie dem Institut für Gesundheitsforschung und Soziale Psychiatrie (igsp) ein Netzwerktreffen organisiert. Ziel des Treffens war es, nach Möglichkeiten für Engagement zu suchen und unsere Expertisen in Bereich Soziale Arbeit und Kindheitspädagogik aktiv einzubringen.

Trotz einer sehr kurzfristigen Einladung und somit einer schnellen Reaktion auf das Geschehen folgend, fand das “Netzwerktreffen für geflüchtete Kinder und Familien aus der Ukraine“ am 21. März 2022 mit achtzig Teilnehmenden aus der Praxis der Sozialen Arbeit, der Kindheitspädagogik, aber auch aus der Zivilgesellschaft statt. Eröffnet wurde die Veranstaltung durch ein Grußwort von Prof. Dr. Hans Hobelsberger, Rektor der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen (katho), und einer Begrüßung durch Tristan Steinberger, stellvertretender Agenturleiter von s_inn, sowie Michael Obermaier, Leiter des foki. Im Anschluss fand eine offene Podiumsdiskussion mit Fragen aus dem Plenum mit Prof. Dr. Stephan Bender, Direktor der Kinder und Jugendpsychiatrie der Universität zu Köln, Prof’in Dr. Nicola Großheinrich, Professorin für Psychische und Entwicklungsstörungen an der Abteilung Köln der katho und Mitglied des isgp, sowie Anna-Lena Müller von der Kölner Freiwilligen Agentur e. V. statt. Hierbei wurde über die aktuelle Situation, Bedarfe, Herausforderungen aber auch Lösungsangebote diskutiert.

Zentrales Thema waren selbstverständlich die Bedarfe von Kindern und Jugendlichen, die unbegleitet oder begleitet aus der Ukraine in Deutschland ankommen. Hervorgehoben wurde hier der Bedarf an Angeboten für traumatisierte Menschen, während gleichzeitig nicht davon ausgegangen werden darf, dass jede_r Geflüchtete ein Trauma erlitten hat. Zentral ist hierbei die Vernetzung, um Parallelstrukturen zu vermeiden. Sollten Traumata vorliegen, ist es wichtig, trotz Sprachbarrieren psychologische Angebote zu nutzen. Eine Begleitung durch eine_n Dolmetscher_in ist sinnvoll. Es lassen sich jedoch auch viele Prozesse bereits durch nonverbale Kommunikation anstoßen, insbesondere bei Kindern, bei denen sich erlebte Erfahrungen im Spiel äußern.

Bei Kindern und Jugendlichen ist zu beachten, dass der Umgang mit Flucht und Krieg in verschiedenen Altersklassen sehr unterschiedlich stattfindet. Während Säuglinge und Kleinkinder an sich die vulnerabelste Gruppe darstellen, können sie Krieg und Flucht noch nicht vollkommen begreifen. Hier stellt eher die Trennung von Bezugspersonen wie Vätern oder anderen Verwandten eine traumatische Erfahrung da, aber auch Lärm und körperliche Verletzungen durch kriegerische Auseinandersetzungen. Dennoch leben sie im Hier und Jetzt, insofern benötigen sie einen Raum Kind sein zu können und entsprechende Freizeit- und Beschäftigungsangebote. Mit zunehmendem Alter, ca. ab Ende der Grundschulzeit, fangen Kinder und Jugendliche an, sich mehr Sorgen zu machen. In diesem Alter können auch psychische Folgen deutlicher zu Tage treten. Jugendliche und junge Erwachsene wiederum haben oft schon einen klaren Bezug zu ihrem Heimatland. Sie haben Freunde und Familie, die vom Krieg bedroht, verletzt oder darin gestorben sind. Sie stehen wohlmöglich auch im Kontakt zu Personen, die im Land geblieben sind, um es zu verteidigen.

Es gibt im Moment eine große Unklarheit bezüglich der Aufnahme von ukrainischen Kindern in Kitas. Von Seiten der Verwaltung ist oft noch Klärung notwendig, ob kurzfristige, akute Angebote oder langfristig Kita-Plätze eingeplant werden sollen. In jedem Fall ist es empfehlenswert, sich bereits bei den regional spezifischen Verwaltungsorganen anzumelden. Auch unklar ist im Moment noch, wie Kitas auf die besondere Situation der Kinder vorbereitet werden.

Ebenso wurde die Ankunft selbst als wichtiger Zeitpunkt identifiziert. Zunächst muss den Menschen vermittelt werden, dass sie sich hier und jetzt an einem sicheren Ort befinden. Außerdem gibt es ein großes Bedürfnis, Kontakt in die Heimat halten zu können. Hierfür sind SIM-Karten notwendig. Viele Anbieter nehmen aktuell keine Gebühren für Anrufe und SMS in die Ukraine und stellen kostenlose SIM-Karten zur Verfügung. Hierzu hat der Kölner Stadtanzeiger eine informative Sammlung zusammengestellt, die sowohl auf Ukrainisch als auch auf Russisch verfügbar ist. Zu finden ist die Sammlung hier.

Allgemein ist jedoch festzustellen, dass die Betroffenen als Expert_innen für sich selbst und ihre Situation wahrgenommen werden müssen. Aufgabe für Helfer_innen ist es vor allen Dingen, einen sicheren Ort zu schaffen, zu vermitteln und Verständnis zu haben. Dies kann auch erfordern, die Emotionen und das Gefühl der Hilflosigkeit auszuhalten – denn aufzulösen ist es in der aktuellen Situation nicht. Diesbezüglich ist es wichtig zu reflektieren, was die einzelne Person auffangen kann und wo die eigene Grenze ist, um das Gesamtsystem nicht zusätzlich zu belasten. Dennoch ist die spontane Hilfe wichtig.

Im Anschluss an die offene Podiumsdiskussion stellte sich die Kölner Freiwilligen Agentur e. V. vor. Die Kölner Freiwilligen Agentur organisiert ehrenamtliches Engagement im Raum Köln. Dies umfasst sowohl kurzfristiges, akutes Engagement für einzelne Veranstaltungen als auch langfristige Freiwilligenarbeit. Darüber hinaus bietet sie eigene Projekte an, bspw. Lesewelten und den Welcome Walk, eine Eins-zu-eins-Begleitung von Kindern aus geflüchteten Familien, die auch im Rahmen der Ukraine-Krise genutzt werden kann. Anne-Lena Müller bat an erster Stelle um Geduld. Aktuell müssen freie Träger noch Strukturen aufbauen bevor Ehrenamtliche sinnvoll eingesetzt werden können. Es sei klar, dass die Hilfe auch in Zukunft erforderlich sein wird. Dennoch seien schon jetzt Freiwillige im Einsatz, beispielsweise im Ankunfts-Zentrum am Breslauer Platz/Hauptbahnhof oder in der Notunterbringung in den Messehallen. Zusätzlich verwies Frau Müller auf die Seite der Stadt Köln, auf der unter anderem Ansprechpartner_innen für die jeweiligen Bezirke genannt werden oder auf Möglichkeiten für Sachspenden eingegangen wird. Ebenso empfahl sie den Rundbrief des Forums für Willkommenskultur, der über Veranstaltungen und Aktionen allgemein für geflüchtete Menschen informiert. Das Forum für Willkommenskultur richtet am 6. April eine Engagement-Börse aus.

Bezüglich der Aufnahme von geflüchteten Menschen bemüht sich die Stadt Köln im Moment um eine zentrale Unterbringung, da private Unterkünfte zunächst überprüft werden müssten.

Nach diesen Impulsen wurde in zwei Teilgruppen zum einen über die Schaffung von kindheitspädagogischen Angeboten in und im Kontext von Bildungseinrichtungen und über Unterstützungsangebote für Kinder, Jugendliche und Familien in ihrer Alltagsbewältigung gesprochen.

Im Rahmen der kindheitspädagogischen Arbeit wurde festgestellt, dass Angebote jetzt konzipiert und entwickelt werden sollten. Selbst wenn der Bedarf aktuell noch nicht aufgekommen ist, wird er sich ergeben, sobald Kinder und Jugendliche “angekommen“ sind. Ebenso wurde hervorgehoben, dass neben praktischen Maßnahmen auch eine politische Wirkung erzielt werden muss. Positiv diskutiert wurde die Erstellung eines Positionspapiers, das vor allem Trägerverantwortliche auf drängende aber noch offene Fragen, etwa im Umgang mit ukrainischen Fachkräften und hinsichtlich der formalen Aufnahme von geflüchteten Kindern, breitenwirksam hinweisen soll.  Ebenso wurde die Bedeutung von interkultureller Pädagogik hervorgehoben und die Notwendigkeit von Angeboten zum Umgang mit Diskriminierung und unterschiedlichen politischen Positionen festgestellt. Zudem besteht ein hoher Bedarf an kollegialer Beratung, der aktuell noch nicht gedeckt wird.

Unterstützungsangebote für ankommende Kinder, Jugendliche und Familien beziehen sich aktuell vorrangig auf die lokale Sammlung von Sachspenden. Der Bedarf ist jedoch wesentlich umfassender. Hervorgehoben wurde hier die Vernetzung von Gemeinden, Bildungsträgern und weiteren Institutionen, um passende Angebote aber keine Parallelstrukturen zu schaffen. Ebenso müssen sozialraumbezogene Angebote geschaffen werden, um Menschen aus der Isolation zu holen. Darüber hinaus kam die Idee von Lotsen auf, die Menschen aus Notunterkünften in private Unterkünfte vermitteln sollen, um eine Ghettoisierung zu vermeiden und stabilisierend zu wirken. Es wurde außerdem gefordert, dass eine niedrigschwellige Aufnahme in Kitas ermöglicht wird. Auch eine rechtliche Klärung, beispielsweise in Bezug auf die Wohnortsituation, ist dringend erforderlich.

Wir möchten und herzlich bei allen Teilnehmenden für ihr Engagement, ihre Bereitschaft sich kurzfristig und bis in den Abend hinein digital einzuwählen, sowie für ihre wertvollen und wichtigen Beiträge bedanken. Besonders bedanken möchten wir uns auch bei den Referent_innen, die kurzfristig Einblicke in ihre Arbeit und ihre fachliche Sichtweise auf die aktuelle Situation gewährt haben.

Weitere Infos

Eine ausführliche Linkliste zu Seiten und Dokumenten auf Deutsch und Ukrainisch bzw. Russisch finden Sie auf der Veranstaltungsseite des Netzwerktreffens. Ebenso möchten wir Sie herzlich zum Transferforum “Mit Kindern über Krieg sprechen“ einladen. Sollten Sie über weitere Veranstaltungen und Aktionen informiert werden wollen, melden Sie sich bitte bei Tristan Steinberger unter t.steinberger@katho-nrw.de.

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