Transferveranstaltungen 'im Zeichen von Corona'
10. März 2022

Die Pandemie war für das Transfernetzwerk mit Herausforderungen verbunden, die auch im Zusammenhang mit wichtigen Partner_innen aus der (Zivil-)Gesellschaft zu sehen sind.

So ging es für das s_inn-Team um die Umsetzung von digitalen bzw. hybriden Veranstaltungen, und zugleich darum, die Beteiligung von Akteur_innen wie etwa geflüchteten oder wohnungslosen Menschen zu ermöglichen, die in besonderer Weise von pandemiebedingten Einschränkungen und Maßnahmen betroffen waren – z.T. aber einen nur begrenzten Zugang zu digitaler Teilhabe hatten. 

Aus ihrer besonderen ‚Betroffenheit‘ resultierten jedoch ebenso vielfältige inhaltliche Impulse. Sowohl durch Beschäftigte aus dem Sozial- und Gesundheitswesen wie auch Expert_innen in eigener Sache wurde schnell deutlich gemacht, dass die Pandemie strukturelle Probleme verstärkt(e) und wichtige Veränderungsbedarfe – im Sinne eines „Brennglases“ – in den Blick rückt.  

Ausgewählte Transferveranstaltungen im Zeichen von Corona

Diese Perspektive auf "Corona" wurde etwa in der gemeinsam von s_inn mit der Evangelischen  Stadtakademie Bochum veranstalteten Online-Themenreihe "Zeit der Pandemie – Herausforderung Solidarität" aufgegriffen, die von September 2020 bis Mai 2021 stattfand.

Inhaltliches Ziel der Reihe war es, die Folgen der Pandemie für verschiedene gesellschaftliche Gruppen näher zu beleuchten, die ohnehin von sozialer Ausgrenzung betroffen sind und/oder deren Situation seit dem Frühjahr 2020 zu wenig berücksichtigt wurde. Dabei sollten auch nötige Verbesserungen und Formen der gesellschaftlichen Solidarität aufgegriffen werden. An den Themenabenden ging es konkreter um die Auswirkungen für Pflegeheim-Bewohner_innen und ihre Angehörigen, für wohnungslose und geflüchtete Menschen sowie für Kinder und Jugendliche, die lange keinen Zugang zu dem für sie wichtigen Sozialraum ihrer Schule hatten.

Hinsichtlich ihrer Gestaltung zeichnete sich die Themenreihe durch den Anspruch aus, einen Trialog zwischen Gästen aus Wissenschaft, Praxis und Gesellschaft zu ermöglichen. So wurde nach einem kurzen wissenschaftlichen Impuls vor allem Raum für einen wechselseitigen Austausch gelassen, an dem sich Beschäftigte aus dem Sozial-, Gesundheits- oder Bildungswesen sowie Expert_innen in eigener Sache – etwa Bewohner_innen von Flüchtlingsunterkünften, Schüler_innenvertreter_innen sowie Angehörige, die sich in Bewohner_innenbeiräten von Pflegeheimen engagieren – beteiligten.

Durch die enge Verschränkung der unterschiedlichen  Perspektiven (oder: Wissensformen) entstand ein tieferer Einblick in die Folgen der Pandemie. Dabei wurden jeweils spezifische Probleme, zugleich aber auch übergreifendere Veränderungsbedarfe deutlich. Zu letzteren gehört nicht zuletzt die Unterbringung in kleineren Wohnformen oder eigenen Wohnungen, die sowohl für wohnungslose und geflüchtete als auch für pflegebedürftige Menschen eine wesentliche Verbesserung bedeuten würde.

Einen anderen Zugang wählte eine digitale Vortragsreihe, die seit April 2020 mit Mitarbeitenden der Forschungseinrichtung BODYS semesterweise durchgeführt wird und deren Ziel es ist, unterschiedliche gesellschaftliche Themen aus der Perspektive der Disability Studies zu betrachten. Obwohl es insofern nicht primär um die Folgen der Pandemie, sondern um einen umfassenderen Blick auf Inklusion gehen sollte, fand im Wintersemester 2020/2021 ein Themenblock "Behinderung in Zeiten von Corona" statt. An den dazugehörigen vier Vortragsabenden gingen die Referierenden u.a. der Frage nach, ob und inwiefern sich für Menschen mit Beeinträchtigung Ausgrenzungsrisiken bzw. -prozesse pandemiebedingt weiter verstärken.

Eines der wichtigen Ergebnisse war hier, dass die Vulnerabilität und Lebenssituation von gerade jüngeren behinderten oder chronisch kranken Menschen in den Pandemie-Debatten vernachlässigt werden, die stärker den Schutz von "Alten Menschen" fokussieren. Dies wurde von den Referierenden, aber auch von Teilnehmer_innen mit Beeinträchtigungen dargelegt, die ihre aktuellen Erfahrungen in die anschließende Diskussion einbrachten. Ein weiteres Thema, das kritisch beleuchtet wurde, waren Konzepte zu der sog. Triage und dort zugrunde gelegte Priorisierungskriterien. Durch die Einbeziehung von Kriterien wie Gebrechlichkeit und bestehende Krankheiten der Patient_innen wachse für Menschen mit Beenträchtigungen die manifeste Gefahr, bei den Entscheidungsprozessen ‚negativer‘ bewertet zu werden, so die zentrale Aussage.

Ein wichtiger Anspruch des Veranstaltungsformates bestand darin, Referierende mit Behinderung einzuladen und die Veranstaltung möglichst barrierefrei zu gestalten, um ein breites Publikum – gerade auch Menschen mit Beeinträchtigungen – zu erreichen und einzubinden.

Die Erfahrungen und das Wissen von Expert_innen in eigener Sache stand zuletzt in der Online-Veranstaltung "Deine und meine Erfahrungen in der Corona-Zeit: Was hat das mit uns gemacht?" besonders im Zentrum, die am 28. Februar 2022 gemeinsam mit dem KSL Münster und BODYS durchgeführt wurde. Nach einem kurzen Impulsvortrag von Prof.in. Dr. Theresia Degener tauschten sich mehrere Gäste sowohl über die von ihnen während der Pandemie erlebten Einschränkungen als auch über die Frage aus, wie eine "Nach-Corona-Gesellschaft" aussehen könnte bzw. sollte. Zu den Gästen gehörten neben Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen eine selbstständige Theaterpädagogin und Künstlerin sowie wohnungslose Menschen.

Zwar spielten problematische Aspekte wie die eingeschränkte soziale Teilhabe eine wichtige Rolle, die die Gäste auf unterschiedliche Weise erlebten – als Verstärkung einer schon vor der Pandemie 'normalen' Alltagserfahrung oder eher im Sinne eines Einschnitts. Mindestens ebenso wichtig war aber der Austausch über Ressourcen, die während der "Corona-Zeit" (weiter-)entwickelt werden konnten und mögliche Ansatzpunkte für weitere Aktivitäten bieten. Neben gewonnenen digitalen Kompetenzen wurde vor allem betont, dass es noch mehr Interessenvertretungen und gerade auch Zusammenschlüsse von Akteur_innen mit unterschiedlichen Expertisen in eigener Sache geben sollte, um das Ziel einer verbesserten Unterstützung und Teilhabe zu einem breiter getragenen Anliegen werden zu lassen. 

Fazit

Dies soll 2022 durch weitere Formate mit Akteur_innen aus Selbstvertretungen und an einem Engagement Interessierte unterstützt werden. Auch aus den beiden Veranstaltungsreihen resultierte eine Weiterführung einiger Themen: Sei es durch die Einbindung von Referent_innen bzw. Gästen in Folgen des Podcasts "s_innzeit" oder durch Veranstaltungen bzw. Kooperationen, in denen wichtige Aspekte erneut aufgegriffen wurden.

Die Relevanz, Expert_innen in eigener Sache mit ihren Erfahrungen und Perspektiven zu beteiligen, die sich nicht nur, aber auch während der Pandemie deutlich gezeigt hat, soll sich zudem in der großen Veranstaltung "s_innovation. Gesellschaft gestalten – wissenschaftlich, vielfältig, barrierearm, partizipativ" am 13. und 14. Oktober 2022 widerspiegeln: Mit dieser Veranstaltung werden neben Vertreter_innen aus Wissenschaft und Feldern des Gesundheits- und Sozialwesens gerade Bürger_innen adressiert, die sich für aktuelle soziale Fragen und Veränderungsbedarfe interessieren und sich etwa in Initiativen, Selbstvertretungen oder im Quartierskontext engagieren.